Mina K.
Zwischen zwei Welten

Elfter Besuch im Burgtorclub (Rosenmontag 2024)

12.02.2024 (Rosenmontag)

Meine Frau und ich hatten Karten für den Geierabend am Rosenmontag. Da es durchaus üblich ist, dass viele Gäste dort zu Karneval in Verkleidung erscheinen, kostümierte ich mich erneut als Alice im Wunderland. Meine Frau kleidete sich passend als weißes Kaninchen im Anzug mit roter Weste, Taschenuhr und einem kleinen Zylinderhut mit weißen Hasenohren.

Bereits als wir den Vorraum zur Veranstaltung auf Zeche Zollern, in dem sich mehrere Stehtische sowie das Catering befanden, betraten bemerkten wir viele neugierige Blicke. Ein Kerl im Fummel fällt eben immer auf, sogar im Karneval. Früher wäre mir das vermutlich unangenehm gewesen, doch heutzutage nicht mehr. Erhobenen Hauptes schritt ich mit meiner Frau an meiner Seite durch die Menge. Der Saal, in dem die Vorstellung stattfinden sollte, war noch geschlossen. Daher gaben wir zuerst unsere Jacken an der Garderobe ab und besorgten uns an der Bar etwas zu trinken, bevor in den Veranstaltungsraum gingen.

Wir konnten zwei Plätze ganz vorne ergattern und setzten uns nebeneinander an Tisch 8. Mehr Leute strömten in den Saal und auch unser Tisch füllte sich. Zu meiner Linken ließ sich eine Gruppe Frauen nieder. Die, die direkt neben mir saß, sprach mich unverblümt auf mein Kostüm an. Genaugenommen fragte sie, ob das nur eine Karnevalskostümierung sei oder mehr dahinter steckte.

Sie sah nett aus und ich war gut drauf. Außerdem waren wir ganz ruhrgebietstypisch sofort per Du. Daher erzählte ich ihr ganz offen die Wahrheit, nämlich dass tatsächlich weit mehr hinter meiner Verkleidung steckte. Sie meinte, das gleich erkannt zu haben aufgrund meines glücklichen und zufriedenen Gesichtsausdrucks. Wir plauderten eine Weile über das Thema bevor sie sich wieder ihren Freundinnen zuwendete.

Es dauerte noch knapp 10 Minuten bis die Vorstellung beginnen sollte, aber mein Bier war schon leer. Meine Frau bot freundlicherweise an, mir ein neues zu holen, um mir den Spießrutenlauf zu ersparen. Doch ich lehnte dankend ab und ging selbst. Der Saal war mittlerweile gut gefüllt und viele Köpfe drehten sich nach mir um, als ich selbstbewusst lächelnd durch die Reihen in Richtung Bar und rechtzeitig wieder zurück stolzierte.

Die Vorstellung war eine Mischung aus Stand-up-Comedy sowie Gesangs- und Tanzeinlagen, alles mit einem satirischen Unterton, der verschiedene aktuelle Ereignisse im Ruhrpott und weltweit aufs Korn nahm. Alles in allem war es sehr unterhaltsam und absolute empfehlenswert.

In der dreißigminütigen Pause wollten wir beide aufs Klo. Die Schlange vor dem Damenklo war erwartungsgemäß recht lang. Mein Frau empfahl mir stattdessen aufs Herrenklo zu gehen. Das war etwas dass ich sonst als Mina nie tun würde. Aber es war Karneval, da würden die Kerle es wohl nicht so eng sehen, wenn ich in meinem Kleidchen ankomme. Selbstverständlich bin ich in eine Kabine gegangen und nicht ans Pissoir.

Anschließend besorgten wir uns Currywurst und Gulaschsuppe von Tante Amanda, die das Catering an dem Abend übernahmen. Als wir an einem Stehtisch im Vorraum standen und aßen, kam auf einmal der "Steiger" Martin Kaysh zu uns. Er war der Moderator, der durch den Abend führte. Auf der Bühne saß er die ganze Zeit in seiner Kanzel, die wie ein Hunt aussah, und haute von dort seine Kalauer raus. Er hatte uns im Publikum gesehen und sprach uns nun auf unsere Kostüme an. Wir mussten ihm erklären, das wir Alice im Wunderland und das weiße Kaninchen waren, dabei hatte ich echt mit mehr Wiedererkennungseffekt gerechnet.🤷‍♀️

Gut zehn Minuten vor Ende der Pause waren wir zurück an unserem Platz. Die Frauen links neben uns waren auch wieder da und ich unterhielt mich weiter mit meiner direkten Sitznachbarin. Sie fand es nach wie vor total toll, wie selbstbewusst und offen meine Frau und ich mit meinem Leidenschaft umgingen und fragte, wo ich denn so als Frau hingehen würde.

Ich erzählte ihr vom Burgtorclub und dass wir dort nach der Vorstellung hinfahren wollten. Sie wirkte sehr interessiert und ich bot ihr spontan an, sie mitzunehmen, falls sie nichts besseres vorhatte. Überraschenderweise war sie gar nicht mal abgeneigt und dachte ernsthaft darüber nach.

Kurz darauf begann die Vorstellung und wir mussten unsere angeregte Unterhaltung einstellen. Auch der zweite Akt stand dem ersten in Nichts nach und es gab viel zu lachen. Zum Schluss sang der ganze Saal mit Inbrunst das Steigerlied und es gab donnernden Applaus für die Künstler.

Ich drehte mich zu meiner Sitznachbarin um und fragte, ob sie und ihre Freundinnen sich mittlerweile entschieden hätten. Sie erwiderte, ihre Freundinnen seien müde aber sie würde gerne mit uns kommen. Wir müssten nur kurz bei ihr zuhause vorbei fahren, damit sie etwas Geld holen konnte. Ich war perplex und aufs Positivste überrascht angesichts dieser Spontanität, die man so nur selten erlebt. Sie vertraute uns ohne uns wirklich zu kennen. Die Frau gefiel mir immer besser, dabei kannte ich noch nicht einmal ihren Namen.

Wir gingen gemeinsam aus dem Saal und ich entschuldigte mich mehrfach bei ihren Begleiterinnen (eine hieß Jenny), dass wir nun ihre Freundin entführen würden. Außerdem versprach ich hochheilig, dass wir gut auf sie aufpassen würden. Meine Frau hatte inzwischen unsere Mäntel geholt und wir verabschiedeten uns mit herzlichen Umarmungen von den müden Freundinnen.

Dabei ist irgendwie mein Bettel-Armband gerissen. Dutzende Perlen und Anhänger fielen auf den Boden. Ich versuchte, das meiste wieder aufzusammeln, in der Hoffnung, das hübsche Armband reparieren zu können. Es war schließlich ein Geschenk meiner Frau.

Dabei war das noch nicht einmal das einzige Malheur, das mir in genau diesem Moment wiederfahren ist: Irgendwie hatte sich im Laufe des Abends, vermutlich aufgrund der vielen "Geier" die wir im Publikum losgeschickt haben (Kenner wissen wovon ich rede 😉), die Sohle meines rechten Schuhs nahezu komplett abgelöst und hing nun schlapp herunter. Das machte den kurzen Weg zum Auto zur Qual und meine Art zu gehen hätte aus dem Ministerium für alberne Gangarten stammen können. Aber unsere neuen Bekanntschaft erwies sich als Engel und bot mir an, von zuhause Panzerklebeband mitzubringen, damit ich meine Mary-Janes notdürftig für den Restabend flicken könnte.

Es ist schon erstaunlich, wie lange man mit jemandem reden kann, ohne den Namen zu kennen oder zu benutzen. Aber auf dem Weg zu ihrer Wohnung fragte ich sie endlich nach ihrem Vornamen und wir stellten uns noch mal richtig vor. Sie hieß Claudia, aber für mich wird sie immer mein Schuh/Klebeband-Engel sein.😊

Auf dem weiteren Weg von ihrer Wohnung in die Dortmunder Innenstand reparierte ich dann meinen Schuh, indem ich die ganze Schuhspitze mit dem silbernen Klebeband umwickelte und so die Sohle am Schuh notdürftig fixierte. Das sollte für den Abend reichen. Claudia empfahl, das gleiche der Optik halber mit dem anderen Schuch zu machen und ich folgte ihrem Rat.

Am Ziel angekommen fanden wir einen Parkplatz fast direkt vor dem Burgtorclub und beraten das Lokal. Wie immer wurden wir herzlich von Ulla begrüßt und stellten ihr auch unsere neue Freundin Claudia vor, die sogleich ebenfalls umarmt und geküsst wurde, wie das hier eben so üblich ist.

Genauso herzlich begrüßten wir Lilith, die uns auch gleich bemerkt hatte. Sie trug ein süßes French-Maid-Outfit, das mir viel besser gefiel als mein eigenes zuhause im Schrank und mich richtig neidisch machte. Ihr "Schatzi" hinter der Bar konnte zwar auch sehr feminin aussehen, wenn er/sie wollte. Doch heute trug er ein Karnevalskostüm für Männer, dass ihn wie die Karikatur einer Frau mit übergroßen Brüsten aussehen ließ.

Wen wir erst gar nicht erkannt haben, war Anja, die einzige echte Frau unter den Bardamen. Sie hatte sich sehr überzeugend als Mann verkleidet. Ihr Bart sah total echt aus.

Pavlos tauchte irgendwann auch auf und begrüßte uns. Wir stellten ihm Claudia vor und im Laufe des Abends hatten sich die beiden auch mal unterhalten. Aber die meiste Zeit hatte ich wohl mit ihr geredet. Sie hatte tausend Fragen zu meinem Lebensstil und er der Beziehung mit meiner Frau. Ich erzählte ihr alles, was sie wissen wollte und sie beglückwünschte mich zu meiner Ehe, die das aushielt und bestärkte mich in meinem Weg.

Zwischendurch wollten wir draußen eine Zigarette rauchen, doch der Türsteher schickte uns zum Rauchen in den Keller. Den Grund dafür habe ich nicht mitbekommen. Pavlos schloss sich Claudia und mir an. Sie war überrascht, wie voll es unten mit Rauchern war. Normalerweise herrscht in den meisten Kneipen striktes Rauchverbot, doch im Burgtorclub war eben alles anders. Das machte ihn ja so faszinierend und Claudia empfand das genauso, wie sie mir hinterher erzählte.

Etwas später wollten wir erneut unserer Gesundheit schaden, aber meine neue Freundin wollte nicht schon wieder eine Zigarette von mir schnorren und fragte nach einem Zigarettenautomaten. Da ich spätestens seit Dezember letzten Jahres Experte darin war, half ich ihr natürlich. Mit der Schachtel bewaffnet stiegen wir erneut die Stufen in den Burgtorkeller hinab, diesmal ohne Pavlos.

Wir hielten wie beim ersten Mal auf dem mittleren Treppenabsatz, doch die ganz unten stehenden Personen luden Claudia und mich ein, uns zu ihnen zu gesellen, was wir auch taten. Des Gespräch fing an sich ganz nett an, doch dann hat ein Typ in schwarz-blau-weißen Sportklamotten gefühlt stundenlang von Sneakern als Wertanlage vollgelabert. Ich fand's irgendwann nur noch nervig, habe aber noch nichts gesagt. Das übernahm die kesse Claudia, die ihm freundlich und höflich ins Gesicht sagte, dass er gerade sehr unsympathisch herüberkäme. Ich hätte sie dafür küssen können, aber der Typ ignorierte es einfach und redete weiter.

Zum Glück schafften wir es irgendwann, das Gespräch abzuwürgen, ohne zu fies zu sein, und gingen schnell wieder nach oben. Wir hatten uns den ganzen Abend vorgenommen, zu tanzen und sind immer noch nicht dazu gekommen. Entsprechend enttäuscht waren wir, als wir um kurz vor zwei Uhr morgens gebeten wurden, jetzt doch bitte unsere Rechnung zu begleichen. Ulla entschuldigte sich, meinte aber dass sie ja schon seit 12 Stunden geöffnet hatten weil ja Rosenmontag war.

Wir zahlten und gingen gemeinsam zum Taxistand am Dortmunder Hauptbahnhof. Außerdem tauschten wir noch unsere Telefonnummern aus. Claudia wollte auf jeden Fall erneut mit uns dorthin und vielleicht sogar ihre Freundin Jenny mitbringen. Das ich von dieser Idee mehr als begeistert war, versteht sich von selbst.

Sie wollte den Nachtexpress nach Hause nehmen, bestand aber darauf, mich noch zu einem Taxi zu geleiten. Das war so unfassbar süß von ihr, nachdem ich ihr doch im Laufe des Abends erzählt hatte, dass ich mich als Crossdresser in der Öffentlichkeit manchmal ein wenig unbehaglich fühlte, insbesondere früher, als ich noch unsicherer war. Jetzt war sie mein (weiblicher) Ritter in schimmernder Rüstung, bereit die holde (männliche) Maid Alice bzw. Mina zu beschützen.🥹

Wir verabschiedeten uns mit einer innigen Umarmung, als würde wir uns schon seit einer Ewigkeit kennen. Ich stieg in mein Taxi und sie ging weiter zum Nachtexpress. Claudia ist eine tolle, starke Frau und es ist kaum zu glauben, dass sie schon über 60 sein soll. Ich hoffe sehr, sie bald wieder zu sehen und glaube fest daran, dass das schon bald passieren wird.


weiter mit Zwölfter Besuch im Burgtorclub (Februar 2024)


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